Ein auffällig unterschiedlicher Nachrichtenwert
März 2008 Leserbrief zur MAZ-Ausgabe vom 1./2. März: Mielkes Mordwaffe unter dem Hammer
Groß aufgemacht berichtet die Zeitung darüber, daß die Waffensammlung des ehemaligen Ministers für Staatssicherheit, Mielke, versteigert wird, darunter auch die Mordwaffe, mit der er als Terrorist 1931 zwei Polizisten erschoß. Zugleich findet sich auf Seite 2 die Nachricht, daß Bürgerrechtler eine Verfassungsbeschwerde eingereicht haben.
Während die erste Nachricht auf Seite 1 groß aufgemacht wird und schließlich auf Seite 6 fünfspaltig mit zahlreichen Fotos abgehandelt wird, ist der der Redaktion die zweite Nachricht ganze 17 Zeilen, klein versteckt auf Seite 2 wert. Die Frage sei erlaubt, was bestimmt unser Leben heute mehr, das Verschachern von Devotionalien düsterer DDR-Geschichte oder der Umstand, daß sich 34 443 Personen zusammengefunden haben, um gemeinsam die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der BRD einzubringen? Und zwar eine Beschwerde, die die Sorge ausdrückt, daß der Staat sich mit der Speicherung von allen Telefon- und Internetdaten sämtlicher Bürger abermals Rechte anmaßt, die man mit dem Ende der Ära Mielke als überwunden glaubte.
Wenn die Versteigerung der Waffen überhaupt eine journalistische Recherche wert ist, dann mit der Frage, zum welchem Preis konnte sich eine Privatperson die Sammlung kaufen und welcher Mehrwert wird erzielt, wenn nun ein Auktionshaus diese Dinger meistbietend versteigert. Darauf ableitend entsteht die Frage, warum konnte der Staat als Herr der Asservatenkammer nicht selbst die Versteigerung ausführen, um so den Steuerzahler zu entlasten?
Der unterschiedliche Umgang mit den beiden Nachrichten ist ein Beispiel mehr dafür, daß gegenwärtig die wahrlich nicht besonders ruhmvolle DDR-Geschichte immer mehr instrumentalisiert wird, um nach den Motto „haltet den Dieb“ von den zahllosen Mißständen der Gegenwart abzulenken. Dazu gehören auch die seltsamen Äußerungen des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Böhmer, wenn er die gehäuften Kindstötungen der Gegenwart einem Staat in die Schuhe schieben will, der bereits untergegangen war, bevor einige der Rabenmütter selbst geboren wurden. Auf dieser Basis kann keine ehrliche Geschichtsdarstellung entstehen. Und das mag auch eine Ursache dafür sein, wenn als Trotzreaktion die Geschichte der DDR postum von manchen Leuten über Gebühr verherrlicht wird.